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Zusammenfassung und Resümee

Christus Pantokrator - romanische Apsismalerei in der Profangeschoßkirche von Wilchenreuth.
 

"Gott wollte es also g‘schehen lassen
Daß Er noch endlich von der Strassen
Nach Ebertshausen sich solt begeben
Und selig endten da sein Leben.
Seines Vatters Gütter anzusehen
Und arm darinn umbher gehen
Vielmehr und höher die Armuth achten
Als was ihm alle die Reichthumb brachten…"
[01]

 
Wir sind in dieser Arbeit den romanischen Landkirchen mit profanem Obergeschoß in Altbayern vor allem deshalb nachgegangen, weil diese Kirchen zwar lokalhistorisch immer wieder als Einzelexemplare beschrieben wurden, jedoch in ihrer Gesamtheit und ihrer spezifischen Verteilung und Ausstattung nicht ausreichend gewürdigt bzw. historisch bewertet sind.

Nachdem sich erste Hinweise aus der besonderen Topographie dieser Kirchen ergeben hatten, konnten wir durch Erarbeitung des kulturellen und geschichtlichen Hintergrundes und unter Berücksichtigung vieler Indizien untermauern, dass vornehmlich ein Mann als Ideengeber und Förderer dieser Kirchen fungierte, Burggraf Heinrich III. von Regensburg. Heinrich III. hatte sich durch Blick in die Heimat seiner Gattin Bertha von Babenberg davon überzeugt, dass sich der Bau von Schutzkirchen mit profanem Obergeschoß ebenso für die Gründung neuer Pfarr- und Dorfgemeinden und Ministerialensitze eignete wie für den Schutz von Landbewohnern und Kirchenasylanten im Angriffsfall, und er sorgte nun an maßgeblicher Stelle dafür, dass sich der Kirchentypus über einen maximalen Zeitraum eines halben Jahrhunderts im Herzogtum Bayern verbreiten und bezüglich der Schutzfunktion mit dem profanen Obergeschoß die bereits als Zufluchtsstätten etablierten Erdställe der Landbevölkerung ersetzen konnte. Sein Bruder, Landgraf Otto II. von Stefling, politische Freunde wie Friedrich von Wittelsbach oder Herzog Welf VI., seine Söhne und Verwandten werden ihn dabei unterstützt haben.

Dabei folgt die Verteilung dieser Kirchen nicht exakt dem Einflussbereich des Burggrafen und seiner Verwandtschaft, vereinzelt ließen sich auch in benachbarten Regionen, in Südbayern und im Alpenraum, derartige Kirchen nachweisen, während andere davon überhaupt nicht betroffen waren. In ihrer zeitlichen und räumlichen Verteilung markieren die Kirchen einen kulturgeschichtlichen Ideenraum, welcher zunächst von den Markgrafen der Ostmark definiert und von den Burggrafen von Regensburg über eine relativ große Distanz in die altbayerischen Lande übertragen wurde. Der Schlüssel zum Verständnis der Kirchen liegt in der besonderen Religiosität beider Familien, welche sich über Generationen entwickelt hatte und gerade zur Zeit größter Verwerfungen zwischen "imperium" und "sacerdotium" zur Blüte kam.

Getragen von einem hohen Gefühl der Verantwortung für die Regionen, in denen sie verankert waren - primär in der Gegend um Paar und Ilm, dann im westlichen Donau-, im Kels- und im Sulzgau, an der Altmühl und am Regen, in der Burggrafschaft Regensburg und im bayerischen Vorwald - sorgten die Burggrafen von Regensburg nicht nur für die Entwicklung und den Ausbau der Metropole Regensburg, in der sie amtierten, sondern zusammen mit der landgräflichen Linie und den Konventen von St. Emmeram, St. Jakob und St. Georg in Prüfening auch für das flache Land, wo sie Klöster, Pfarrgemeinden und Edelsitze gründeten. Indem Burggraf Heinrich III. und sein Bruder Otto beträchtliche Summen in den Bau hoher Landkirchen mit profanen Obergeschoßen fließen ließen, ließen sie ihre Dienstmannen symbolhaft am Stolz ihrer Herrschaft teilhaben, vermittelten sie ihren Landsleuten neben der Seelsorge wirtschaftlichen Aufschwung und Schutz vor Verfolgung zugleich.

Wenn man die Kirchen im historischen Kontext betrachtet, erkennt man sie eingespannt zwischen den anderen großen Entwicklungsprojekten der Zeit, dem Ausbau der Klöster, Burgen und Städte - sozusagen als eigenständiges Glied, ausschließlich und vornehmlich der Erschließung des ländlichen Raumes dienend. Was bis zum 11. Jahrhundert noch ungerodetes Waldland und Wildnis gewesen war, sollte im 12. Jahrhundert in neue, blühende Landsitze und volkreiche Gemeinden umgewandelt werden, mit Feldern und Äckern, mit Häusern und Straßen, mit Handel und Verkehr.

Bei der Errichtung der Kirchen, deren Konstruktion sich noch ganz an tradierten Vorbildern der Romanik orientierte und die trotz sorgfältiger Bauweise von einer äußersten Ökonomie der Mittel - zwei Funktionen unter einem Dach - geprägt war, gaben neben seelsorgerischen Aspekten sicherheitstechnische Überlegungen den Ausschlag. Es waren in erster Linie die neu installierten Ministerialen und die mit einer Pfarrpfründe versehenen Ortsgeistlichen mit ihren Familien, die von der besonderen Qualität der Kirchen profitierten, daneben die Landbevölkerung der Umgebung. Sie fanden in den Kirchen seelischen Trost und körperlichen Schutz zugleich, wenn die Zeiten unsicher wurden und das Leben durch herumziehende Marodeure und Raubgesindel in Gefahr kam. In der Primärintention jedoch dienten diese Schutzkirchen, die meistens Eigenkirchen des Grundherrn waren, als Zentrum einer künftigen Pfarrgemeinde und nicht als privat genutzte Adelskapelle. Das bekannte Attribut "Kapelle am Edelsitz" muss in diesem Sinn relativiert werden, es verdient seine Berechtigung erst durch nachträgliche Aufrüstung der Kirchorte und auch da nur punktuell.

Die Notwendigkeit der Konstruktion von Schutzgeschoßen ergab sich zum kleineren Teil aus den Bedrohungen durch die häufigen Einfälle der kriegerischen Böhmen, zum größeren Teil aus der Tatsache, dass viele Menschen zwischen 1160 und 1177 wegen ihres religiösen Bekenntnisses zu Papst und Papstkirche verfolgt wurden. Gerade dies betraf die Menschen auf dem Land mehr als diejenigen in der Stadt. Burggraf Heinrich III. stellte sich mit seinem Kirchenbauprogramm hinter diese Menschen. Als hochgebildeter Mann hatte er sich in jungen Jahren Dichtung und Gesang verschrieben, als amtierender Burggraf betrieb er wie seine Vorväter eine religiös fundierte Sozialpolitik.

Trotz seiner Vielseitigkeit schaffte dieser Mann allerdings eines nicht, nämlich die Umstellung auf eine neue Ära imperialen Selbstverständnisses, in welcher Regional- und Landesinteressen gegenüber der Reichsdoktrin zurückzustehen hatten: So sperrte sich Heinrich III. als Nonkonformist und Traditionalist zwar mit moralischem Recht, aber letztlich vergebens gegen die Politik Kaiser Friedrichs Barbarossa - erst passiv, schließlich auch aktiv, indem er demonstrativ einen Heergang nach Italien verweigerte und sich im Jahr 1167 einer Friedensmission nach Jerusalem anschloss. Mit dieser Form des äußersten Protestes, zu dem er im Stande war, begann er eine innere Konversion, die nach einigen Jahren Verbannung und politischer Bedeutungslosigkeit im Herzogtum Bayern darin endete, dass er all seinen Reichtum und sein Amt ganz aufgab und sich fortan zur gelebten Nachfolge Christi entschloss. Dass er sich dabei versteckte, spricht dafür, dass er auch anhaltend mit Verfolgung zu rechnen hatte. Bis zu seinem Tode hauste der einst so mächtige Burggraf unerkannt als frommer und armer Hirte bei einem Dorf in Niederbayern.

Nur seiner Heimatsehnsucht konnte sich Burggraf Heinrich III. damals nicht entziehen, so wählte er für sein Büßerleben den Süden der Diözese Regensburg und in der Ortschaft Ebrantshausen ein Umfeld, in dem er unter den Bewohnern viele Gesinnungsgenossen und unter den Adeligen der Umgebung Verwandte und Unterstützer wusste. In diesem neuen Orbit seiner Askese findet man noch heute sehr viele Kirchen mit Profangeschoß; sie umgeben geradezu ringartig seinen damaligen Aufenthaltsort. Die Kirchen mögen zum Teil schon von ihm als Burggraf errichtet oder gefördert worden sein, zum Teil entstanden sie erst infolge seines Rückzugs, als der Schutz von Pilgern und kirchlich Verfolgten durch sein eigenes Schicksal zur religiösen Leitidee eines ganzen Landstrichs wurde.

Nach seinem Tod um 1185 lüftete sich sein Inkognito, und am Ort seines Lebens und Sterbens setzte eine große Verehrung ein. Um diese Anerkennung, die bis heute ungebrochen anhält, könnte ihn so mancher Staatsmann beneiden. Burggraf Heinrich III. wird in Ebrantshausen als "seliger Heinrich" verehrt, nicht wenige Wunder sollen an seinem Grab geschehen sein. Im sonstigen Gebiet der Burggrafschaft geriet er in Vergessenheit, und es ist auch nicht sicher, dass ihn seine Söhne vor seinem Tod noch wiedersahen. Mit dem Jahr 1185 waren alle direkten Nachfahren kinderlos verstorben, elf Jahre später die Familie der Pabonen auch in der landgräflichen Linie erloschen, kurz danach ihr gesamter Allodialbesitz konfisziert und die Lehen weiter vergeben. Der Bau der Landkirchen mit Profangeschoß sistierte in Bayern nun vollständig und irreversibel, während man ihn in Österreich weiter pflegte und weiter entwickelte.

Wenn man diese zeitgeschichtlichen Besonderheiten berücksichtigt, so spiegeln die romanischen Landkirchen mit profanem Obergeschoß in Altbayern nicht nur eindrucksvoll das persönliche Schicksal Burggraf Heinrichs III. wider, sondern stellen in ihrer eigenartigen Kombination von Sakral- und Profanraum - ganz im Sinn der Romanik als getrennte Raumkörper aufgefasst, aber ideell und konstruktiv miteinander verbunden - den Stein gewordenen Lösungsansatz für das drängendste Problem ihrer Zeit dar, des zur permanenten Zerreißprobe gewordenen Zwistes zwischen Papst und Kaiser, zwischen kirchlicher Suprematie und staufischem Machtanspruch.

Mit dem Sistieren ihres Baus ab ca. 1200 markieren sie obendrein den Aufstieg der Wittelsbacher in Altbayern, die selbst nicht einen einzigen Kirchenbau dieser Art initiierten, in deren Besitz die Kirchorte aber alsbald in der großen Masse fielen. Ihre Dienstleute errichteten größere Herrenhäuser an den Kirchen oder integrierten diese in ihre Burganlagen. Vereinzelt entwickelten sich daraus, wie dokumentarisch belegt ist, Hofmarken mit niederer Gerichtsbarkeit. Ein anderer Teil der Kirchen nahm an der ursprünglich avisierten Entwicklung nicht teil, d. h. die Dorfentwicklung kam nicht in Gang, die Edelsitze und Burgen wurden zerstört oder zerfielen, nur die Kirchengebäude blieben stehen und überdauerten so die Jahrhunderte.

Ohne zu anderen Zeiten in Deutschland jemals in gleicher Bauweise zur Ausbreitung gekommen zu sein, ist in den romanischen Schutzkirchen Altbayerns die weltliche und geistliche Macht des 12. Jahrhunderts, vielfach zersplittert und polarisiert, symbolhaft auf das Originellste vereint. Unabhängig davon, welcher Baumeister sie vor Ort errichtet haben mag: Diese Kirchen sind nicht nur in ihrer materiellen Substanz, sondern auch in ihrer Idee und Entstehungsgeschichte die authentische Botschaft eines Burggrafen, den die Historiographen nahezu vollständig vergessen haben, obwohl er im 12. Jahrhunderte Großes leistete für seine bayerische Heimat und ihre Menschen.

Als eigentliches Erbe Heinrichs III. von Regensburg, als sichtbarer Ausdruck seiner von Idealen getragenen Gesinnung überdauerten einige von ihnen die Jahrhunderte. Wegen ihrer eigenartigen Historie und der nicht seltenen Reinheit der architektonischen Substanz gehören diese Kirchen in die oberste Kategorie romanischer Architektur in unserem Land.

 


[01] Reimlegende aus dem 17. Jahrhundert über Heinrich von Ebrantshausen, BZAR, Pfarrei Ebrantshausen.

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